„Ta daa daa daaaa da da, ta daa daa daaaa da da, daa daa daa daa.“ Ich pfiff nahezu fehlerfrei und glockenrein – zumindest in meinen Augen, ich meine natürlich Ohren! Aber egal, ich wollte jetzt nicht kleinlich sein, denn heute war ein ganz besonderer Tag! Da passte dieses königliche Lied perfekt. Ihr wollt wissen, wovon ich schon wieder spreche? Nun, unser Herzilein ist ein Royal. Sozusagen - wenn man es genauer betrachtete und das tat ich schließlich, jeden Tag aufs Neue! Unser Herzilein ist der König unter den Katzen, nein Katern, also eigentlich Tigern! Ein Königstiger sozusagen! Ihr wollt wissen, wie ich darauf komme? Wie immer, habe ich dazu etwas gelesen und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, hier wurde exakt von Herzilein gesprochen. Zum besseren Verständnis habe ich das Wichtigste an Informationen herausgeholt: Der Begriff „Königstiger“ entstammt im ursprünglichen Sinne der Jägersprache und bezeichnet jene Exemplare, die stark begehrt wurden. Sprich, jeder will sie haben. (Jaaa, das kann ich bei Herzilein mehr als bestätigen…) Aber weiter im Text: Außerdem weisen sie auch eine besondere Fellfärbung auf. Denn es gibt in der Kategorie Königstiger auch die „weißen Tiger“. Und genau an dieser Stelle kommt unser Herzilein ins Spiel. Ich würde sagen, dass er ein ganz besonderes Exemplar dieser Art ist. Denn so ein reinweißes Fellkleid hat eben nicht jeder! Unseren Kater kleidet es auf jeden Fall besonders gut. Tja, diese beiden herausragenden Tatsachen sprechen doch eindeutig dafür, dass er zu den Königstigern zählt. Leider zieht diese Tatsache seltsame Konsequenzen nach sich. Es fing damit an, dass wir Taschenkontrollen jeglichen Besuchs durchführen mussten. Und dies ist nicht dem Umstand geschuldet, dass Herzilein etwa in diese hineinklettern würde. Obwohl er schon einen gewissen Hang zu Taschen, am liebsten Papiertüten (er ist auch noch umweltbewusst), hat. Er liebt es, in diese hineinzuklettern, sich zu verstecken und darin zu spielen. Das wäre an sich absolut harmlos. Doch folgende Episode alarmierte uns im höchsten Maße, sodass wir zur Nothilfe greifen mussten: Es begann an einem Nachmittag, als wieder einmal ein guter Freund unseres Sohnes zu Besuch kam. An dieser Tatsache ist generell nichts Ungewöhnliches, Freunde der Kinder kommen regelmäßig zu Besuch. Dass jedoch dieser Freund sofort nach Herzilein fragte, sobald ich öffnete, ließ mich stutzen und hellhörig werden. Da ich allerdings gerade telefonierte, konnte ich mich dazu nicht äußern. Auch dies war dem jugendlichen Gast egal, er wünschte Herzilein sofort zu sehen und zu streicheln. Unser inzwischen an die Tür geeilte Sohn wollte seinen Freund gerade in Richtung Treppe bugsieren, als dieser ungefragt ins Wohnzimmer abbog, um Herzilein aufzusuchen. Ihr könnt euch vorstellen, dass unser Sohn zunächst leicht überrascht war. Doch dann spiegelte sein Gesicht pure Ungläubigkeit wider, als er realisierte, dass sein Kumpel nur bereit war, ihm nach oben in sein Zimmer zu folgen, wenn das Katerchen mitkäme. Doch dieser hatte nicht vor, seinen angestammten Lieblingsplatz auf dem „Super-sitz-gemütlich“-Sesselchen zu räumen und sträubte sich. Ich führte gerade ein wichtiges Telefonat und wollte eigentlich in Ruhe weitersprechen. Doch der Freund meines Sohnes erwiderte gelassen: „Kein Problem, wenn Herzilein nicht mit nach oben kommen möchte. Dann streichle ich ihn eben hier!“ Gesagt, getan! Glücklicherweise konnte ich den jungen Mann doch überzeugen, nicht meinem Telefonat beizuwohnen. Aber als sich Vorfälle dieser Art häuften und sämtliche Freunde von uns oder den Kindern immer zuerst nach dem Vierbeiner fragten, ihn non-stop kraulten, ihn in ihrer Nähe wissen wollten und sich nur schwer verabschieden konnten, kam ich ins Grübeln. Einmal sogar schoben unsere Freunde den schlafenden Kater auf seinem Stuhl zwischen sich an den Esstisch, damit sie ihn sowohl in ihrer Nähe hatten, als auch ungestört weiter streicheln konnten. Auch die Unterhaltungen mit unserem Besuch litten, da sie unbedingt mit dem Herzilein spielen mussten. Den Höhepunkt erreichten wir allerdings, als besagter Freund unseres Sohnes an jenem Tag eine Tasche dabeihatte. Eine große Tasche. Auf unsere Nachfrage grinste er uns wissend an und erklärte ausführlich: „Herzilein klettert doch so gerne in Taschen. Die hier ist besonders schön. Aus ganz dickem, flauschigem Stoff, fühl mal, super gemütlich! Herzilein könnte man darin auch locker rumtragen! Das wäre voll der Spaß!“ Und flugs breitete er diese vor unserem Vierbeiner aus, öffnete sie ein wenig, steckte vor Herzileins Augen seine Lieblings-Spielzeugkugel rein und säuselte: „Schau mal, hiiiiiiier, hiiiiier na, komm doch rein. Ja, komm nur. Schau mal da rein!“ Entgeistert und fassungslos verfolgten wir das uns dargebotene Schauspiel und konnten nicht glauben, was wir sahen. Wie die böse Hexe lockte er unser Katerchen in die Tasche. Begeistert und völlig ahnungslos folgte unser Herzilein dem angeblichen Spielangebot. Doch mir war sofort klar, dass es sich hier um etwas ganz anderes handelte: Ein von langer Hand vorbereiteter Entführungsversuch unseres Herzileins. Energisch machte ich dem Theater ein Ende und scheuchte die Kinder nach oben, während ich das Katerchen eigenhändig ins Wohnzimmer schleppte und demonstrativ die Glastür schloss. Dabei ließ ich den ominösen Freund nicht aus den Augen. Bildete ich es mir nur ein oder hatte ich doch ein leise ausgerufenes „Mist!“ gehört? Sofort sprang die Detektivin in mir an: Hatte sich der junge Kerl nicht in letzter Zeit auffällig nach Herzileins Gewohnheiten erkundigt? Er hatte alles wissen wollen: Welches Futter fraß Herzilein, was mochte er besonders gern, wie war sein Tages- bzw. Nachtrhythmus und so weiter. Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich musste handeln und zwar sofort. Jetzt galt es unser Katerchen zu schützen. Schon surfte ich nach Taschen-Scan-Geräten, es sollten genau die vom Flughafen sein. Hier würde kein Fremder mehr das Haus verlassen, ohne seine Tasche durchleuchtet zu bekommen. Ich versprach Herzilein anschließend völlig aufgewühlt, dass er sich keine Sorgen machen müsste und wir für seine Sicherheit sorgen würden. So ein Königstiger musste geschützt werden. Ich kann es mir nicht anders erklären, aber ich muss kurz darauf im Sessel fix und fertig eingenickt sein, denn als ich wiedererwachte, war es draußen dunkel und Herzilein nicht zu sehen. Ein leises Jammern drang an mein Ohr. Herzilein! Irgendetwas war nicht in Ordnung! Das war mir sofort klar. Herzilein jammerte sonst nie und miauen konnte er ja leider nicht. Genau in diesem Moment hörte ich, dass sich der Freund meines Sohnes verabschiedete. Ich hechtete in den Flur. Da war dessen Tasche. Sie war prall gefüllt und er drückte sie an sich. Erschrocken blickte er mich an, als ich aus dem Wohnzimmer angerast kam, mich auf ihn stürzte, nach der Tasche grapschte und heroisch rief: „Keine Sorge, Herzilein! Mutti rettet dich!“ Beherzt griff ich rein und… förderte eine dicke Kuschelfleecejacke zutage. „Ups, äh, oh!“, brachte ich nur zustande. „Mama, alles ok mit dir?“, fragte unser Sohn peinlich berührt und konsterniert nach. „Ja, ähm, alles ok! Ich habe irgendwie wohl geträumt! Verzeih!“ Mit diesen Worten schmiss ich dem verdutzten Freund die Tasche zurück in dessen Arme, machte auf dem Absatz kehrt und ging schnellen Schrittes in die Küche, wo Herzilein schon anklagend vor seinem leeren Futtertrog saß. Der Königstiger hatte Hunger. Schnell füllte ich den Trog und ließ mich anschließend völlig erschöpft wieder auf meinem Sessel im Wohnzimmer nieder. Personenschutz war ganz schön anstrengend. Möglicherweise sollte ich doch über professionelle Hilfe nachdenken: Für wen auch immer… Das war wohl der Preis für die Haltung besonderer Tiere, besonders lieber Tiere. Ich seufzte laut auf. Als sich dann kurz darauf unser Königstiger auf meinen Schoß zusammenrollte und zufrieden schnurrte, musste ich kurz auflachen. Mit dem Herzilein wurde es eben nie langweilig, was würde er uns noch alles an lustigen Erlebnissen bescheren? Ich war gespannt. Bis dahin sollte ich unserem Sohn vielleicht meinen Auftritt von vorhin irgendwie erklären. Der dachte sonst, seine Mutter wäre verrückt geworden und davon war ich ganz sicher meilenweit entfernt. Ich hatte nur aus Sorge gehandelt, denn jeder weiß doch, dass der Bestand der Königstiger geschützt werden muss, da diese stark gefährdet sind. Und für den Schutz unseres Herzileins machte ich mich doch gerne stark…
(©Helen Herrmannsdörfer)
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