Es schnurrte. Laut und deutlich drang dieses wunderbare Geräusch zu mir durch. Das war Musik in meinen Ohren! Herzilein! Er war nur einen Katzensprung entfernt! Auf magische Weise hatte er den Weg zu mir in den Urlaub gefunden! Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Es heißt ja, Tiere finden den Weg zu ihrem Besitzer. Oh, oder war es der Weg nach Hause? Egal, Herzilein war hier. Wie schön! Sein Schnurren wurde immer lauter! Wahrscheinlich hatte er Hunger! Morgens ist er grundsätzlich ganz ausgehungert, der arme Kerl! Langsam öffnete ich ein Auge in der Erwartung, Herzilein neben mir auf dem Kopfkissen zu erblicken. Nichts! Suchend klopfte ich mit der Hand die Gegend rund um mein Kopfkissen ab! Kein Fell, kein Herzilein! Ich lüpfte schnell unsere Bettdecke. Vielleicht hatte er sich darunter versteckt und wollte spielen? Nein, alles leer. Nur die Füße meines Mannes waren deutlich zu erkennen. Ha, dann saß er bestimmt unter dem Bett und spielte mit mir Verstecken. Fehlanzeige! Auch hier kam er nicht zum Vorschein! So ein Mist! Plötzlich drang ein Glucksen an mein Ohr. „Du hast jetzt aber nicht gedacht, dass das Rattern draußen vom Kater kommt und er dir hierher gefolgt ist, oder?“ Belustigt linste mein Mann zu mir herüber und fand mich, als auch die Situation, wohl urkomisch. Nur so konnte ich mir sein breites Grinsen erklären. Also, wenn ich ehrlich war, hatte ich genau das gedacht. Ich druckste etwas rum. Enttäuschung machte sich in mir breit! Nur ein Traum! Das konnte doch nicht wahr sein! Seufzend ließ ich mich wieder in das Kissen fallen. Das Katerchen fehlte mir. Wie es ihm wohl ging? Ob er ohne uns schlafen konnte? Hatte er überhaupt Appetit? Mein Handy piepste schrill! Oje, es war etwas passiert. Das signalisierte mir der absolut aufdringliche Klingelton! Gab es ein Problem mit dem Herzilein? Aber dann würden die Nachbarn doch hoffentlich umgehend anrufen! Schließlich waren sie jetzt perfekt ausgestattet mit allen wichtigen Nummern und realisierbaren Möglichkeiten für Notfälle. Na gut, ich geb`s zu, vielleicht nicht nur für Notfälle. Ich hatte viele gute Ideen zur Kontaktaufnahme mit dem Katerchen entwickelt, um zu verhindern, dass er uns vergaß. Ich räume es ja nur ungern ein, aber vielleicht hatte ich, aber nur unter Umständen, möglicherweise, ein klitzekleines bisschen übertrieben. Trotzdem fand ich mich und meinen Einfallsreichtum diesbezüglich wirklich großartig. So hatte ich tatsächlich alle Register gezogen und den katzensittenden Lieblingsnachbarn verschiedenste Möglichkeiten zum regen Austausch sowohl nähergebracht, als auch schmackhaft gemacht: Skype, Videocall, Videos, Sprachnachrichten, einfacher Anruf, Fotos… Im Prinzip ist es heutzutage doch gar nicht mehr möglich, nicht erreichbar zu sein. Man musste sich eben nur die Technik zu Nutzen machen. So konnten die Nachbarn das Herzilein mit unseren Videos, auf denen ich extra nur ihn ansprach, tagtäglich unterhalten und beschallen. Ich versprach mir einiges davon: Wenn das Herzilein unsere, also eigentlich nur meine, Stimme hörte, dann konnte er uns eigentlich fast gar nicht vermissen und schon gleich gar nicht vergessen. Ganz klar, das funktionierte hundertprozentig! Bestimmt gefiel es den Nachbarn auch, von unserem Urlaub so viel mitzubekommen, quasi live mitzuerleben. Tja, das macht eben eine gute Nachbarschaft aus, man nimmt die Daheimgebliebenen virtuell mit in den Urlaub. Wenn ich es mir allerdings recht überlegte, hatte ich lange nichts mehr von ihnen und Herzilein gehört. Ein beklemmendes Gefühl ergriff von mir Besitz! Ich merkte, wie sich Schnappatmung anbahnte. Während ich umgehend meine Atemübungen einleitete, um eine drohende Panikattacke abzuwenden, fragte mein Mann verschlafen: „Willst du nicht endlich die Nachricht checken? Vielleicht hat ja der Kater geschrieben!“ Er lachte schallend auf. Sehr witzig, der Herr Gemahl! Tatsächlich hatte ich diese über meine ganzen Überlegungen fast vergessen. Hektisch griff ich nach dem Handy, dabei flutschte es mir durch die Finger und knallte auf den Boden. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt musste ich auch noch unter das Bett kriechen, um da ran zu kommen. Natürlich war auch wieder kein Kind zu Stelle, wenn man es brauchte! Typisch. Mit spitzen Fingern holte ich es endlich, nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, aus dem hintersten Winkel hervor. Ein langes schwarzes Haar hing daran. Igittigittigitt! Von uns war das sicherlich nicht. Angeekelt schüttelte ich das Gerät, um dieses Objekt schnellstmöglich loszuwerden. Hastig entsperrte ich nun das Gerät. Erleichtert stieß ich die Luft aus. Alles gut, keine schlimme Nachricht, nur eine unwichtige Werbe-E-Mail.
Es dauerte bis zum späten Nachmittag, bis die Nachbarn sich meldeten. Inzwischen hatte ich mehrfach versucht sie zu kontaktieren, leider erfolglos. Ich spürte es intuitiv: Da war etwas im Busch! Doch irgendwann war es soweit: Das Handy kündigte die sehnlichst erwartete Nachricht an. Als ich diese öffnete, fand ich ein herziges Video von unserem Katerchen im Garten vor. Entzückt schmachtete ich es an und spulte es wieder und wieder ab: Laut schnurrend rieb unser Vierbeiner sein Köpfchen an Nachbars Beinen und ließ sich äußerst bereitwillig kraulen. Als der Nachbar dann auch noch erzählte, dass sie beide schon viel gekuschelt hätten, alles super sei und es keine Probleme gäbe, war ich im ersten Moment mehr als erleichtert. Doch dann ergriff von mir ein Gefühl Besitz, das ich leider nur als blanken Neid einordnen konnte. Nun waren wir gerade 3 Tage fort und die beiden schienen so vertraut miteinander. Wenn das so weiterging, dann hatte Herzilein bestimmt kein Interesse mehr an uns bis wir heimkamen. Ohne Vorwarnung packte mein Mann mein Handy, schaltete es aus und sagte: „Siehst du, es läuft doch einfach perfekt! So muss es sein! Jetzt machen wir richtig Urlaub!“ Damit steckte er mein Handy ein. Klares Zeichen: Ich musste nicht nur dringend meine Kontaktaufnahmen in die Heimat runterfahren, sondern mich auch. Gesagt, getan! (Na gut, ich geb`s zu: Ich dachte trotzdem viel an unser Katerchen. Und ja, manch andere Leute hielten mich für völlig verrückt, wenn ich mich auf ihren Vierbeiner stürzte, um ihn zu streicheln. Aber so ist das eben bei Entzug… Bloß komisch, dass sich meine Familie in solchen Situationen immer weit von mir distanzierte, das verstehe ich bis heute nicht…). Und jetzt, nach zwei Wochen herrlichsten Urlaubs, war es gleich so weit. Gleich würden wir unser Herzilein wieder in die Arme schließen können. Was würde der Kater sagen, wenn wir plötzlich wieder da waren? Hektisch nestelte ich mit dem Schlüssel an der Haustür herum. Endlich sprang sie auf. Die Kinder und ich rasten ins Haus. Wo war das Herzilein? Das Wohnzimmer leer, die Küche auch, doch im 1. Stock lag das Objekt unserer Begierde. Es schlief, lang ausgestreckt auf dem Bett unseres Sohnes. Als wir vor Freude quiekten, öffnete Herzilein träge ein Auge. Wir schmissen uns zu ihm aufs Bett, kraulten ihn und überhäuften ihn mit Liebesbekundungen. Und was tat er? Er stand auf, streckte sich ausgiebig, gähnte und machte sich völlig unbeeindruckt auf den Weg nach unten. Schnell folgten wir ihm. Was war sein Plan? Zeigte er uns nun demonstrativ die kalte Schulter? Ich hatte davon gelesen. Hoffentlich wollte er nicht weg von uns! Doch das Herzilein parkte zügig vor seinem Futtertrog ein und sah uns zum Steinerweichen an. Den Blick kannte ich gut. Er bedeutete: „Ich habe heute noch gaaaaaar nichts zu fressen bekommen, ich armer, armer Kater!“ Aufgepasst! Jetzt nur nichts falsch machen! In Überschallgeschwindigkeit befüllte ich seinen Napf mehr als großzügig. Das war quasi mein Mitbringsel. Ausgehungert stürzte sich Herzilein darauf. Ich wartete geduldig neben ihm ab. Als er endlich fertig war, rieb er seinen mit Fressensresten verzierten Schnauz laut schnurrend an meiner Hose ab und schleckte mir über den Handrücken. Ich juchzte begeistert auf und konnte mir nichts Schöneres vorstellen. So wie es aussah, hatte Herzilein uns unseren Urlaubs-Katzensprung verziehen. Juhuu!
(©Helen Herrmannsdörfer)
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